Grafik als Handwerk – Grafik als Kunst und als Bestimmung
Mit ungefähr 744.000.000 Ergebnissen in der google-Suche ist Grafik oder Graphik ein beliebter Begriff. Entsprechend regelmäßig gehen Anfragen nach Praktikumsplätzen für Graphik-Designer ein, um einmal den typischen Agentur-Alltag zu erleben. Was ist ein typischer Agentur-Alltag? Zuerst einmal Kaffee holen, noch etwas Flurfunk und Arbeitsplatz überblicken. Teammeetings und dann? Je nachdem. In Agenturen gibt es viele verschiedene Möglichkeiten. Im grafischen Bereich werden Präsentationen „geschrubbt“, Anzeigen und so genannte Manuals erstellt. Websites über Heat-Maps aufgebaut, Vertriebs-Funnel und Freebies erstellt. Kampagnen für verschiedene Produkte und immer wieder auf Grundlagen des Corporate Design geachtet, wenn es nicht selber erstellt wird.
Junge Menschen möchten gerne irgend etwas mit dem Computer machen. Eltern und Lehrern schicken die Sprösslinge in Agenturen, um den Beruf des Grafikers, des Grafikdesigners kennen zu lernen. Zu Zeiten, in denen viele junge Menschen Mangas lesen und sich die Technik angeeignet haben, selber zu zeichnen, ist es für die ältere Generation naheliegend, das zu empfehlen. Doch gibt es wirklich noch den typischen Beruf des Grafik-Designers? Und was ist das überhaupt im Alltag?
Vielleicht haben einige das Bild, dass jeden Tag neue Logos erstellt würden oder täglich neue Zeitschriften-Cover? Das mag sein. Doch was ist mit den Inhalten? Wo kommen die her? Müssen nicht dann auch langweilige Seiten mit massenhaft Text aufmerksam im Seitenlayout gesetzt werden – und die Druckproduktion? Das muss auch jemand machen. Für mich ist Grafiker ein erlernbares Handwerk wie Schreiner oder Fliesenleger. Nur wenige können sich wirklich künstlerisch austoben und sich immer wieder neu entdecken. Vielleicht braucht es auch einen neuen Begriff dafür.
Was ich machen würde wurde ich mehrmals gefragt. Als ich einem Neuseeländer meinen stringenten Lebenslauf innerhalb der Druckbranche darlegte schlug der entsetzt die Hände überm Kopf zusammen. Ob mir das denn nicht langweilig sei! Er hätte bereits als Bootsbauer, Bühnenbildner, Grafiker, im Straßenbau und als Elektriker gearbeitet. Stolz zeigte er mir das Cover einer Zeitschrift, das er designt hätte. Es war okay, entspricht zwar nicht unseren hiesigen Ansprüchen – doch warum eigentlich nicht? Irgendwann wurde ich von einer Malerin und Galeristin gefragt. Begeistert berichtete ich, wie umfangreich Corporate Design angewandt werden könne und wie invasiv Branding sein könne, wenn es wie ohne Budget-Grenze geschehen könne. In diesem Fall meinte ich die Deutsche Telekom, für die ich zu dieser Zeit das T auf alles bewegliche appliziert habe. Auch sie schlug die Hände überm Kopf zusammen. Für sie ist jedes Bild eine neue Kreation, Kunst und Bestimmung. Wie könne man Spaß und Erfüllung daran habe, ein Logo auf jedes Medium zu bapschen?!?
Der Kundenwunsch deckt den Tisch und zahlt die Miete. Hier gilt es, über den eigenen Schatten springen zu können und abzusehen vom eigenen Geschmack. Ko-Kreation ist inzwischen das geflügelte. Ko-Kreatives Arbeiten bedeutet für mich, sich im Interesse mit dem Kundenwunsch und dem Kundeskunden zu verbinden und gemeinsam zum Besten des Ganzen über die Vision und Mission ein Erscheinungsbild herauszuarbeiten, das alle Interessen miteinander verbindet.
Kooperativ-kreatives Arbeiten ist ein visionäres Annähern unter Berücksichtigung mehrerer Faktoren an ein ergebnisoffenes Ziel
Wencke Börding
Hier im Spannungsfeld können wir keinen „typischen Agentur-Alltag“ anbieten, da jedes Projekt, jeder Kunde, jeder Auftrag individuell und einzigartig ist. Festgelegte Abläufe und Strukturen gibt es wie in jedem Betrieb. Kreatives Arbeiten muss frei sein. Während ich schnell 12 Entwürfe in verschiedenen Stilrichtungen gezaubert habe, bemerke ich bei Praktikanten, dass die sich an dem einen, dem perfekten Entwurf abarbeiten. Nein, zu selten gibt es den einen einzigen Wurf. Kreatives Arbeiten ist ein Annähern an ein oft ergebnisoffenes Ziel zu verstehen. Wir haben keine Ahnung, wie der Kunde tickt und was er braucht. Wir können dem nur annähern. Entsprechend ist es sinnvoll, direkt den Kunden einzubeziehen und gemeinsam kooperativ kreativ zu sein. Hier endet schnell die Begeisterung einiger, wenn sie bemerken, dass Grafik-Design Regeln und den Geschmäckern des Kunden unterliegt. Nur, wer die Regeln kennt kann sie auch brechen ist eines meiner geflügelten Worte.
Vielleicht ist es gestalterische Freiheit, dem Betrachter in einem Post mal ein Gestaltungselement anzubieten und im nächsten Moment wieder nicht. Doch als Betrachter fühle ich mich erst beschenkt, dann regelrecht bestohlen, wenn das fehlt, was mir zuvor optisch angeboten wurde. Ja, es gibt viele Regeln zu beachten und wie ein Handwerk zu erlernen und zu erfahren.
Eine Spurensuche nach dem typischen Grafik-Designer
Je länger ich mich mit Grafik und Design beschäftige, desto mehr logische und sinnvolle Regeln tauchen auf, die über die Jahrzehnte über Bord gekippt wurden. Vor allem wird die Vernachlässigung dieser logischen Regeln in unserer Schrift sichtbar. Das was und wie wir schreiben darf unbedingt auf den Prüfstand gestellt werden und scheint aus höherer Perspektive den Lauf der Geschichte erheblich verändert zu haben. Somit ist für mich Grafik-Design zeitgleich eine Forschungsreise in die Vergangenheit sowie in die Zukunft mit dem Anspruch, die trojanischen Pferde aufzuspüren, die uns über viele verschiedene Stilmittel untergemischt wurden und über die Jahrzehnte „normal“ wurden und zu keiner Zeit mehr hinterfragt werden. Auch ist mit dem typischen Berufsbild kaum noch gutes Geld zu verdienen. Viele Grafiker haben sich dem digitalen Nomadentum zugewandt und hebeln ihre Dienstleistung über Online-Kurse.
Es wirkt aktuell, als würde das Berufsfeld Grafik und Design im Spannungsfeld zwischen
- der Beherrschung der drei in die Jahre gekommenen Programme für Bildbearbeitung, Layout-Gestaltung und Logo-Gestaltung
- Jedermann-Nutzung der KI
- den Forschenden und Spurensuchenden von Symboliken, Schriften, Wappen und ihrer eigentlichen Bedeutung in Zeit und Raum
- den Digitalen Nomaden mit eigenen Online-Programmen als Dienstleistung
- und Glücks-Rittern mit beispielsweise eigenem T-Shirt-Shop oder Affiliate-Programmen
definiert werden müssen. Die Spanne der Inhalte und Möglichkeiten hat sich binnen kurzer Zeit extrem verändert und darf damit neu benannt und vielleicht auch spationiert werden.
Nie war es so einfach wie heute, Grafik-Designer zu werden. Einfach den nächsten Kurs einer beliebigen Online-Universität wie Udemy angeschaut und los gehts. Das fluppt noch nicht richtig? Schnell noch geyoutubed oder ChatGPT angefragt, bis die Herausforderung bewältigt ist und alles läuft. Das bedarf einem langen Atem und Spaß am Tüfteln, doch bis die eigene Handschrift über die Tastatur getippt werden kann, braucht es heute nicht mehr lange. Das Internet findet für alles eine Lösung. Demnach kann jeder Haupt- und Nebenberuflich Grafiker sein, solange der Kunde die Feinheiten nicht kennt oder übersieht.
Graphik-Design zu Zeiten von KI
Wer als Grafiker die KI nicht nutzt, bringt sich selber ins Hintertreffen. Ständig gibt es Situationen, da unterstützt die KI einen Prozess. Ich stelle mir da die Frage, was ist geschehen, dass plötzlich und wie aus dem Nichts die KI der Menschheit zur Verfügung gestellt wurde.
Sind irgend welche Verträge ausgelaufen?
Was hat man davon, der Menschheit diese Technologie ohne Grenzen und Regeln zur Verfügung zu stellen? Möchte man ausloten, wie weit Menschen gehen oder was sie erschaffen und kreieren mithilfe der KI? Oder wurde es unglaubwürdig, dass über 30 Jahre lang fast unverändert Programme unreflektiert genutzt wurden mit nur kleinen Optimierungen. Wer 1995 Bildbearbeitung, Seitenlayout und Logogestaltung mittels Vektoren kennen gelernt hat, findet noch heute jede Funktion unverändert wieder und kann direkt wieder anknüpfen. Ebenso wie bei Microsofts Word, PowerPoint und Excel, das bei google und Apple lediglich andere Namen erhalten hat. Somit degradiert die KI den Designer zum „Prompter“. Prompts, die Eingabebefehle für die KI unterliegen bestimmten Mustern. Je versierter die Anfrage, desto besser die Antwort unabhängig ob in Text, Bild, Ton oder Video. Damit schwebt die Berufsbezeichnung des Graphik-Designers aktuell zwischen den Welten und wird sich in eine neue Richtung bewegen müssen.
Ausbildung zum Grafik-Designer
Die Ansprüche in Techniken und Theorie können nicht hoch genug geschraubt werden. Nach wie vor ist Grafik-Design mehr als eine Berufung. Es ist eine Art der Kommunikation, die außerdordentlich achtsam und sorgfältig erfolgen sollte. Darf doch der Empfänger weder unbewusst manipuliert noch überrumpelt oder schockiert werden. Wer sich mit Energien und ihrer Wirkung aufs Kollektiv auseinander gesetzt hat, wird sich niemals wagen, bewusst negative Emotionen zu erzeugen.
Wer die alten Lehrbücher der Schriftsetzer entstaubt, findet Thematiken, die jeder Grafiker kennen sollte. Angefangen bei den Unterschieden zwischen additiver und substraktiver Farbe über Gradationskurven, Druckverfahren und Farbprofilen zu Ausschießmustern. Was ist CMYK und warum sollte das stets als kleinster gemeinsamer Nenner bei der Farbwahl benutzt werden? Welche Farben werden aus welchem Grund wie miteinander kombiniert und warum sollten Bilder niemals nach links zeigen? Ausbildungsprogramme für Grafiker sollte es unverändert geben und wie oben erwähnt, darf die Thematik gründlich aufgefrischt und angereichert werden. Warum heißt der Farbton Farbton? Die Farbfrequenzen in Billionen Herz liegen auf derselben Oktave wie die Tonfrequenzen in Herz, wie bereits Johann Wolfgang von Goethe herausfand. Wenn wir die Farben und Töne mit Emotionen belegen, dürften auf selbigen Oktaven vertikal die Gefühle liegen. Wichtig ist dabei immer, die Verbindung zwischen Elementen heraus zu stellen.
Die aktuelle Generation tut sich schwer, sich tief (vertikal) in die Materie hinein zu denken. Die Aufmerksamkeitsspanne liegt bei nur noch 12-16 Sekunden und reicht damit kaum aus, sich etwas zu erarbeiten, was komplex ist. Die KI tut ihre Pflicht und degradiert und fragmentiert das Bewusstsein bis die Menschheit kaum noch selber denkt.
Im Kino werden die Auswirkungen der Philosophie gezeigt die uns gelehrt wurde: halte die andere Backe auch noch hin. Schon die Trailer verraten, wie diese Welt aussehen soll.
„Mensch, erkenne Dich selbst!“ So das Orakel von Delphi. Erkennt der Mensch, erkennt der Grafiker die Macht, die in gedachten und gesprochenen Worten wie auch in Bildern liegt, dann weiß er, dass der Mensch ein Schöpfer ist. Kann der Mensch gesund mit seinem Bewusstsein, seiner Gedankenwelt umgehen, wird er niemals wieder Kriege und Zerstörung zulassen. Das wäre meines Erachtens die Pflicht eines jeden Grafik-Designers, diese Grundsätze zu verinnerlichen und sklavisch danach zu handeln.
Damit lege ich viel Wert auf die ethisch, technisch und inhaltlich anspruchsvolle Ausbildung eines Grafikers, damit er das in die Welt trägt, was sie am dringendsten benötigt:
Frieden und Liebe bis in jedes Molekül